Donnerstag, 4. Dezember 2014

Reportage: Die Angst vor der Bombe


Atomexplosion in Nevada © Public Domain
25 Jahre nach dem Ende des kalten Krieges lagern immer noch amerikanische Atomwaffen auf deutschem Boden. Doch die deutsche Bevölkerung weiß nicht mit Sicherheit, wo sie lagern. Ein heißer Kandidat ist der Fliegerhorst Büchel in der Eifel. Ich frage daher per E-mail bei der Bundeswehr an. Etwa eine Woche später bekomme ich einen Anruf von einem Presseoffizier der Luftwaffe in Köln-Wahn.
„Ich weiß ja, worauf Ihre Frage hinausläuft.”, sagt er.
„Ach ja?”, frage ich und kann meine Belustigung kaum verbergen. „Worauf läuft denn meine Frage hinaus?”
Eine direkte Antwort des Presseoffiziers erhalte ich nicht. Stattdessen sagt er: „Warum wollen Sie denn den Fliegerhorst Büchel überhaupt besichtigen? Sie können auch jeden anderen Fliegerhorst an einem Tag der offenen Tür besuchen.”
„Aber ich will Büchel sehen. Ich will wissen, wie es dort aussieht. Ich will einen Tornado starten sehen”, beharre ich. „Haben Sie dort keinen Tag der offenen Tür?”
Schweigen. Dann sagt er: „Ich kann Ihnen leider nicht weiterhelfen.”
Der Presseoffizier vertröstet mich mit Broschüren der Luftwaffe, die er mir zuschicken will. Damit beendet er das Gespräch höflich – aber bestimmt.

Die Bundeswehr schweigt also und veröffentlicht keine Informationen darüber,
1) ob und 2) wo amerikanische Atomwaffen auf deutschem Boden lagern. Der Presseoffizier hat mit der Geheimniskrämerei meinen journalistischen Ehrgeiz entfacht. Wenn mir die Bundeswehr keine Informationen mitteilt, muss ich eben von Außen nach Innen recherchieren, so wie ich es gelernt habe. Ich folgere:  Präsident Obama müsste ein großes Interesse daran haben, die Atomwaffen aus Europa abzuziehen, denn er hat sich in Berlin zur Abrüstung aller Nuklearwaffen bekannt. Er wird darüber wahrscheinlich mit Kanzlerin Merkel gesprochen haben. Daher schaue ich in den Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Was weiß unsere Regierung über Nuklearwaffen?
Ich lade den Koalitionsvertrag als PDF herunter. Auf Seite 118 steht wörtlich: „Erfolgreiche Abrüstungsgespräche schaffen die Voraussetzung für einen Abzug der in Deutschland und Europa stationierten taktischen Atomwaffen.”

Hier finde ich also die Antwort auf die Frage 1): Der Koalitionsvertrag bestätigt, dass auf deutschem Boden Nuklearwaffen lagern. Ich sehe mir ältere Koalitionsverträge an. Auch sie bestätigen die Lagerung von Atomwaffen auf deutschem Boden und das Bemühen, diese abzuziehen. So zum Beispiel die Koalitionsverträge zwischen der SPD und den Grünen in den Jahren 1998 und 2002. Meine Recherchen ergeben, dass von der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder/Joschka Fischer seltsamerweise auch keine Anstrengungen unternommen wurden, die Atomwaffen aus Deutschland zu verbannen.
Ich recherchiere weiter – und stoße auf Frau P.. Gelegentlich dringt die Stationierung von Atomwaffen auf deutschem Boden durch ihre Aktivitäten ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Frau P. ist promovierte Pharmazeutin und wohnt in dem kleinen Ort Leienkaul in der Eifel. Kurz entschlossen setze ich mich mit ihr telefonisch in Verbindung und vereinbare einen Termin. Vielleicht finde ich eine Antwort auf die Frage, wo sich die Atombomben in Deutschland befinden.

Leienkaul

„Ich hatte Angst, die zünden mir vor lauter Wut mein Haus an.”, erzählt sie mir.
Frau P. ist über siebzig, fährt aber immer noch regelmäßig mit ihrem Freund in den Ski-Urlaub. Die Frau mit den ergrauten Locken und der gesunden Gesichtsröte ist mit einem hellen Norweger-Pullover und einer Blue-Jeans gekleidet und wirkt körperlich fit. Sie wirkt nicht so, als ob sie sich leicht einschüchtern ließe. Von der Terrasse ihres Hauses streift ihr Blick über die liebliche, hügelige Landschaft der Eifel. Sie erinnert sich. Wenn Frau P. mit Flugblättern von Haus zu Haus zog, um die Menschen über die letzten Atombomben in Deutschland aufzuklären, seien die Leute mit Heckenscheren oder Spaten auf sie losgegangen. Sie lacht. „Aber ich konnte immer ausweichen. Ich habe nie provoziert und habe mich dann immer schnell verzogen.”
So habe es lange gedauert, bis die Leute in der Gegend überhaupt verstanden hätten, mit welcher Gefahr sie täglich lebten. So erging es auch Frau P. anfänglich. „Wir haben das Haus 1980 gekauft. Erst 1996 habe ich von diesen Atomwaffen erfahren. Sechzehn Jahre habe ich hier gelebt, ohne zu wissen, was sich da drüben abspielt.”


Mit „da drüben” meint Frau P. den Fliegerhorst Büchel, auf dem vier Kilometer von ihrem Haus entfernt seit dem Jahr 1965 im Rahmen der sogenannten „Nuklearen Teilhabe” der NATO Atomwaffen vom Typ B-61 lagern, wie sie glaubt. Frau P. war zunächst allein mit ihrer Meinung. Viele Bewohner der Ortsgemeinden sehen den Fliegerhorst Büchel als Wirtschaftsstandort durch die Friedensdemonstrationen gefährdet, die Frau P. zusammen mit einem evangelischen Pfarrer organisiert. Die Behauptung, der Flugplatz werde nach einem Abzug der Bomben geschlossen, sei ein Gerücht, das an den Stammtischen geschürt würde, so Frau P.. Als in der Ferne das dumpfe Grollen von Tornado-Kampfbombern anschwillt, um Sekunden später wieder abzuebben, schüttelt sie den Kopf. „Ich kann keine Garantie geben, dass der Fliegerhorst bis 2090 hier sein wird. Aber auf jeden Fall verschwindet er nicht in dem Moment, in dem die Bomben abgezogen werden.”


B61-Nuklearbomben © Public Domain
Ich erinnere mich jetzt an eine Pressemeldung vom Juli 2014. Die Bundesregierung hat den Plänen des amerikanischen Verteidigungsministeriums zugestimmt, die Atombomben zu modernisieren und durch eine neue Generation von Nuklearwaffen zu ersetzen. Diese Bomben vom Typ B-61-3 und B-61-4 haben eine variabel einstellbare Sprengkraft von 0,3 bis zu 50 Kilotonnen, also das Dreizehnfache der Hiroshima-Bombe. Der Feuerball einer solchen 50 Kilotonnen-Bombe, am Brandenburger Tor gezündet, würde etwa 350 Meter messen. Innerhalb eines Radius von 0,8 Kilometern würden alle Gebäude aus Beton eingeäschert. Nichts würde in diesem Gebiet mehr stehen. Sterblichkeitsrate: 100%. Berlin gliche zwischen Tiergarten und Berlin-Mitte einer Trümmerwüste. Die Strahlendosis würde bis zu einem Radius von 1,64 Kilometern etwa 500 rem betragen – etwa 50% bis 90% der Menschen in diesem Bereich sterben. Die Schockwelle des Luftdrucks würde 1,8 Kilometer weit reichen. Die Zerstörung nähme vom Zentrum der Detonation zum Ende der Druckwelle proportional ab. Doch selbst an den Ausläufern der Rathenaustraße im Nordwesten und der Oranienstraße im Südosten wären die Schäden an den Gebäuden katastrophal. Über 2,8 Kilometer hinweg würde die Hitze Verbrennungen dritten Grades auf der menschlichen Haut verursachen. Die Detonation einer B61-Bombe in Berlin würde also innerhalb weniger Stunden über eine Millionen Menschen töten. Der radioaktive Fallout würde nach der Explosion den Himmel über der Hauptstadt verdunkeln und großflächig verseuchen. Ein Alptraum.

Frau P. zeigt den Stützpunkt auf einer Landkarte, dort, wo der potentielle Auslöser dieses Alptraums liegt. Im Süden, Richtung Gevenich, vermutet sie die Atomwaffen, denn dort beginnt die Startbahn. Im Ernstfall könnten die Tornados innerhalb weniger Minuten mit den Atombomben bestückt werden. Doch das macht jedoch taktisch betrachtet wenig Sinn: Im Ernstfall könnten die Tornados über deutschem Boden von feindlichen Kräften abgeschossen werden, sodass die Bomben nicht auf Feindesland detonieren, sondern beispielsweise die Gegend um Berlin einäschern. Der Feind ist für die NATO seit der russischen Invasion auf der Krim und dem Krieg in der Urkaine verstärkt im Osten zu suchen, doch ist die Reichweite der Tornados auf die ostdeutsche Grenze beschränkt. Zur Zeit des kalten Krieges sollten russische Truppen auf DDR-Boden mit diesen Atombomben aufgehalten werden.

Wer Deutschland plattmachen wolle, meint Frau P., der brauche nur Büchel anzugreifen. Sie erwähnt die Vereinigung amerikanischer Wissenschaftler FAS und den Abrüstungsexperten Hans Kristensen, der im Juni 2008 nach einem Bericht der US Air Force auf die unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen in Büchel hinwies. Aber auch das scheint niemanden zu interessieren. Von Gerichten ganz zu schweigen: Frau P. zog vor das Oberverwaltungsgericht in Münster, um den Abzug der Atomwaffen einzuklagen. Doch ihre Klage wurde abgewiesen. Frau P. lässt sich jedoch nicht beirren. Ihr Klageantrag gegen die Bundesrepublik Deutschland liegt dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vor. Ausgang offen, Hoffnung gegen Null. Daher bleiben die Bomben – und die Gefahr.

„Eine Gefahr besteht immer, wenn die Bomben zur Wartung aus den sogenannten Grüften hochgefahren werden”, erzählt Frau P.. Ihr Blick verrät Unbehagen. „Das passiert öfter als zweimal im Jahr.”
Es wäre der richtige Moment für Terroristen, um sich die Atombomben mit Waffengewalt anzueignen. Die Luftwaffensicherungsstaffel Sonderwaffen, die rund um die Uhr in drei Schichten Dienst führt, bewacht zusammen mit amerikanischen Soldaten des 702. Munition Support Squadron (MUNSS) die Lagerungsgrüfte vor Terrorangriffen und sonstigen möglichen Zwischenfällen. „Da sind acht Grüfte, in denen jeweils vier Sprengköpfe lagern. Theoretisch kann man zweiunddreißig Waffen lagern.”, sagt sie. Vermutlich sind es zwanzig Atomwaffen, wie Hans Kristensen von der FAS vermutet.


Demonstration am Fliegerhorst Büchel
im Jahr 2008 © Public Domain
Frau P. und ihre Mitstreiter von der Friedensbewegung glauben, dass die Lagerung der Bomben nicht ohne Folgen für die Umwelt sei. Sie führt eine Liste mit verstorbenen Angehörigen des damaligen Jagdbombergeschwaders 33. „Wir haben vermutet, dass einige von denen verstrahlt worden sind und dass es unter ihnen eine hohe Krebsrate gab.” Ein an Krebs erkrankter Wachmann sei an sie herangetreten. „Der sagte mir, da sind so viele krebskrank geworden, dass könne doch nicht mit rechten Dingen zugehen.” Schilddrüsenkrebs, Lungenkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs – alles sei dabei gewesen. Das Gesicht von Frau P. ist wie versteinert, als sie sagt: „Jetzt sind die praktisch alle tot von dieser Schicht. Eine Schicht sind vierzig Leute.”
Aber das werde hier in der Gegend verdrängt. Wahrgenommen würden nur die Demonstrationen und die Tatsache, dass im September 2008 mehr als 4500 Polizisten und Soldaten auf 2000 friedliche Demonstranten angesetzt waren. Ein kostspieliger Sicherheitsaufwand, der unter den Menschen in der Region Verärgerung erzeuge.

Cochem
Das glaubt auch Herr Z.. Ich treffe mich mit ihm in einem Café in der Cochemer Altstadt. Der freie Journalist hat Verständnis für die Friedensaktivitäten von Frau P., aber auch für die Sorgen der Bevölkerung, die das Taktische Lutwaffengeschwader 33 des Fliegerhorstes Büchel als Hauptarbeitgeber betrachtet. Herr Z., ein großer, untersetzter Mann Anfang vierzig und zurückweichendem, kurzem Haar, zeigt auf die andere Seite der Mosel. „Sehen sie das? Hotels, Hotels, Hotels. Im Winter sind fast alle geschlossen. Außer Tourismus geht hier so gut wie nichts. Da ist die Bundeswehr mit Abstand einer der größten Arbeitgeber in der Region.” Um uns herum sind die Tische mit Dutzenden von niederländischen Touristen besetzt.

Das Taktische Lutwaffengeschwader 33 bestimmt die journalistische Arbeit von Herrn Z. mehr als alle anderen Themen. Doch sowohl die Bundeswehr als auch die Friedensbewegung seien schwer zufrieden zu stellen. „Die Bundeswehr ist auch nicht begeistert, dass ich andauernd über die in der Zeitung schreibe”, schmunzelt Herr Z. und schlürft seinen Kaffee. „Meistens habe ich über sie bei einem Kommandeurswechsel berichtet. Bei den Bundeswehrleuten habe ich das Gefühl, dass sie denken, ich horche sie aus.”
Herr Z. wird regelmäßig mit Vorwürfen des Taktischen Lutwaffengeschwaders 33 konfrontiert, zu oft für die Friedensbewegung zu schreiben. „Zur Vierzig-Jahr-Feier des Bombergeschwaders habe ich darüber berichtet. Da kam ein Dankesschreiben vom Kommodore, wie toll mein Bericht war. Zwei Wochen später habe ich über die Friedensbewegung geschrieben. Da kam dann vom selben Kommodore ein Anruf beim Chefredakteur, warum wir der Friedensbewegung so großen Platz einräumen.”

Für Herrn Z. ist offensichtlich, dass auf dem Fliegerhorst Atomwaffen lagern. Als der neue Tower des Fliegerhorstes eingeweiht wurde, schickte die Redaktion seiner Zeitung Herrn Z. für einen Bericht dorthin. Ein schelmisches Grinsen huscht über sein Gesicht. „Dann war ich mit dem Presseoffizier oben im Tower und ich fragte ihn, ob ich Bilder machen dürfe von einem startenden Tornado. Der Offizier gestattete das. Als ich die Kamera rüberschwenkte, sagte der Offizier ‚da net hin’. Als ich fragte, warum nicht, bekam ich die Antwort: ‚Weißt du doch. Da lagern die Dinger.’”
Für Herrn Z. klingen die Erklärungen der Friedensbewegung, welche Gefahren die Bomben bergen, plausibler als die Beschwörungen der Bundesregierung, die nukleare Teilhabe zum Schutz des Landes aufrecht zu erhalten. Die Indizien sprächen eindeutig für Atomwaffen auf dem Fliegerhorst Büchel. Wie Frau P. in Leienkaul, so ist sich hier auch Herr Z. sicher.

Höchstberg
Doch das sieht Frau M. in der Ortsgemeinde Höchstberg, etwa sieben Kilometer vom Fliegerhorst entfernt, etwas anders. „Ob die Bomben da liegen, ich weiß es nicht”, sagt sie. „Man hört es dann immer wieder verstärkt, wenn die Demonstrationen stattfinden, die hier aber im Prinzip auf gar kein Interesse stoßen.”
Frau M., über fünfzig, verheiratet, ist Mutter von zwei Kindern im Teenageralter, studierte Naturwissenschaftlerin, jetzt Besitzerin eines Buchladens. Die Angst vor allem Neuen und Fremden sei in der Eifel vorherrschend, berichtet sie. Das ist eine Beobachtung, die ich während meiner Recherchen in der Eifel ebenso gemacht habe. Niemals zuvor bin ich auf eine größere Wand der Ablehnung und des Schweigens gestoßen. Auf zehn Anfragen kam nur eine Zusage. Die abwehrende Reaktion der Menschen auf die Friedensdemonstrationen ordnet Frau M. so ein, dass man Angst habe, den Arbeitsplatz zu verlieren, wenn der Stützpunkt durch den Abzug der Atomwaffen geschlossen werde könnte.

In der Küche streiten sich ihre Kinder, und Frau M. hat Mühe, dagegen anzusprechen. „Mein Bruder arbeitet auf dem Fliegerhorst im Wachdienst. Mein Schwager ist Installateur und macht dort die Wasserwartung.”
Einer ihrer Neffen sei auf dem Fliegerhorst zum Flugzeugmechaniker ausgebildet worden. Sie habe viele Bekannte, die dort bei der Feuerwehr arbeiten oder gearbeitet haben. Auch kenne sie Soldaten, die dort ihren Dienst verrichten. Und die Bomben? Es interessiere die Beschäftigten auf dem Fliegerhorst und auch die Menschen der Region nicht, ob „dort oben” Nuklearbomben lagern. Ganz im Gegenteil wäre die Idee, dass der Fliegerhorst geschlossen werden könnte, ein Schreckgespenst, so Frau M.. So nah die Bomben faktisch auch sein mögen – zu abstrakt sei die mögliche Bedrohung.

Alflen
Auch für Herrn T. ist die Vorstellung beunruhigend, dass das Taktische Lutwaffengeschwader 33 abgezogen werden könnte. Herr T. ist in der Gemeinde des verschlafenen Dorfs Alflen tätig, das nur einige hundert Meter von der Startbahn des Fliegerhorstes entfernt liegt. Als ich durch Alflen fahre, bemerke ich, dass die Rasen und Hecken in den Vorgärten akkurat gestutzt sind. Das Kaminholz ist ordentlich gestapelt. Kein Dreck liegt auf der Straße. Es gibt einen Tante-Emma-Laden mit Getränkemarkt, eine Bäckerei, eine Metzgerei, einen Friseur. Nur jede Stunde fährt ein Bus. Herr T. hat jahrelang im Motorenbereich gearbeitet und ist jetzt in Rente. „Der Fliegerhorst ist natürlich der größte Arbeitgeber hier in unserer Region und den wollen wir uns auch erhalten”, betont der besonnen wirkende Mann mit tiefer Stimme. „Ansonsten haben wir keine großen Betriebe.”

Sehr eng sei die Zusammenarbeit der Ortsgemeinde mit dem Taktischen Lutwaffengeschwader 33. Die Feuerwehr sei auf dem Fliegerhorst natürlich ein großer Arbeitgeberfaktor. Einige Bürger Alflens seien bei der Hundeschutzstaffel, als Flugzeugmechaniker, Elektriker, Dachdecker, Schlosser tätig. Undenkbar, dass der Fliegerhorst geschlossen werden könnte. „Das wäre für uns hier, nicht nur für Alflen, für die ganze Region, für den Kreis Cochem-Zell, schon ein Einbruch”, brummt Herr T.. Er schiebt sich die randlose Brille auf die Nase zurück und lehnt sich vor. „Wie will man das industriell oder sonst wie wettmachen?”

Die Friedensdemonstrationen sind ein heißes Eisen für Herrn T. Er sagt: „Wer ist für Atombomben? Im Prinzip keiner. Wenn die Bomben an Ort und Stelle verschrottet würden, dann würde jeder Bewohner von Alflen dafür sein.”
Aber wenn die Bomben nur verlagert würden Richtung Osten oder in die Türkei, dann seien die Waffen immer noch nicht verschwunden und wären immer noch zum Einsatz bereit. Ob eine Bombe nun hier in Alflen liege oder 1000 Kilometer weiter weg, die Gefahr sei dann nach wie vor da. Wenn die Bomben verschwänden, dann wäre der strategische Nutzen des Fliegerhorstes in Frage gestellt – und daher bald verschwunden.
„Ganz offiziell wird es ja nicht zugegeben”, fügt Herr T. augenzwinkernd hinzu. „Wir gehen schon davon aus, dass da oben was ist. Aber gesehen hat die Bomben noch keiner. Von uns zumindest nicht.”

Ulmen
Für Pfarrer B., Mitte fünfzig, ist die Frage, ob auf dem Fliegerhorst Büchel Atombomben lagern, zweitrangig. Pfarrer B. glaubt, dass die Menschen die direkten Auswirkungen des Fliegerhorstes und der Bomben auf tragische Weise am eigenen Leib spüren. Er kann das bestens beurteilen, denn er ist auch Seelsorger der Region. Im Büro des schütteren, in schwarzem Anzug und weißem Römerkragen gekleideten Mannes stehen Bücherregale mit theologischen Werken. In der Luft schwebt das süßliche Aroma von Pfeifenrauch. Er strahlt eine besonnene Ruhe aus. „Ich versuche, den Menschen die Freude am Leben näherzubringen. Und auch, letztendlich den Sinn des Lebens zu finden”, sagt Pfarrer B. schmunzelnd.

Diese Arbeit erweist sich für ihn jedoch als schwierig. In den Jahren, in denen er als Pfarrer in der Gemeinde tätig ist, beklagte er zehn Selbstmorde von jungen Menschen im Alter von 14 bis 30 Jahren. Die Perspektivenlosigkeit der Region scheint sich dramatisch auf das Gemüt junger Menschen niederzuschlagen. Schiere Existenzangst, glaubt er. Hinzu komme eine alarmierende Häufung von Krebsfällen in Ulmen, Alflen und Umgebung. Allein im Jahr 2007 musste Pfarrer B. drei Mitglieder der Wachmannschaft des Fliegerhorstes beerdigen, die an Krebs verstarben. Seine Stimme senkt sich beinahe zu einem Flüstern. „Ich weiß, dass es hier in der Region und in den Jahren, in denen ich hier bin, sehr viele Todesfälle gab, die mit Krebs zu tun hatten.”
Immer wieder entstehen Pausen, in denen Pfarrer B. nach Worten sucht. „Das ist eigentlich die Mehrheit der Fälle”, sagt er. „Auch im hohen Alter noch. Aber es sind auch sehr viele junge Menschen, die an Krebs sterben.” Er betont, dass das seine ganz subjektive Meinung sei. Ich spüre seine Angst.

Pfarrer B. zündet seine Pfeife an und denkt nach. Die meisten Leute, die hier gestorben sind, hätten einen Arbeitsplatz am Stützpunkt gehabt, bestätigt er. Diese Beobachtung deckt sich mit der Aussage von Frau P. in Leienkaul. Viele Soldaten im Ruhestand seien an Krebs verstorben – Pfarrer B. sieht einen direkten Zusammenhang. „Zwei Drittel der Todesfälle, die ich habe, sind Krebserkrankungen. Es sind auch sehr viele Fälle von Menschen, die erkrankt aber noch nicht verstorben sind.” Der Anteil sei relativ hoch. Aber leider habe er dafür keine wissenschaftlichen Belege. Bislang hat diese Tatsache aber keinen Reporter irgendeiner Zeitung oder eines Fernsehmagazins interessiert. Vielleicht aus Unkenntnis, vielleicht aus Angst vor Repressalien.

Büchel
Ich parke in sicherer Entfernung zum Fliegerhorst und blicke durch mein Teleobjektiv. „Militärischer Sicherheitsbereich. Vorsicht Schusswaffengebrauch!”, schreit ein Schild am Zaun des Fliegerhorstes. Es ist Montag Morgen. 6:30 Uhr. Wachwechsel für die Soldaten des 702. Munition Support Squadron, der einzigen Spezialeinheit für Atomwaffen, die in Deutschland stationiert ist. Offiziell gibt es die 702. MUNSS hier nicht. Stars and Stripes flattern im Wind neben der deutschen Fahne. Untrügliches Zeichen amerikanischer Präsenz. Das Kreischen eines startenden Düsentriebwerks zerreißt plötzlich die morgendliche Stille. Ich blicke eingeschüchtert in den Himmel.


Tornado-Kampfbomber der Bundeswehr © Public Domain
Ein Tornado-Kampfbomber hebt zum Übungsflug ab. Unter seinen Tragflächen sind neben den Tanks längliche Attrappen der B61-Bomben sichtbar.
In einigen Minuten wird der Pilot irgendwo über der Eifel seine Last abwerfen. 


Im Ernstfall könnte der Pilot der nuklearen Schockwelle nicht entkommen. Nach meiner Odyssee durch die Eifel ist mir nun klar, dass die Atombomben in Büchel lagern, auch wenn es von offizieller Seite dementiert wird. Wahrscheinlich wird keine Regierungspartei in diesem Land dafür sorgen, dass die Nuklearwaffen aus Deutschland verschwinden. Dabei könnte es so einfach sein: Die Bundesregierung müsste dem Weißen Haus in Washington, DC nur signalisieren, dass die Bomben abgezogen werden sollen. Denn es ist allein der Wille der Bundesregierung, dass die Waffen hier lagern – und nicht der Wille der amerikanischen Regierung. Sollte es durch einen Unfall oder islamistische Terroristen in unserem Land zu einer nuklearen Katastrophe kommen, existiert kein Notfallplan. Es ist Zeit zu handeln.

Anmerkung: Die Namen der Befragten wurden aus Personenschutzgründen verändert und abgekürzt.

© Daniel Gerritzen



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