Dienstag, 24. Mai 2016

Gastbeitrag Douglas Preston: Tief im Wald

Im Jahr 1950 fragte der italienisch-stämmige Physiker Enrico Fermi bei einem Mittagessen in der Forschungseinrichtung von Los Alamos in New Mexico seine Kollegen Edward Teller, Emil Konopinski und Herbert York: „Wo sind sie alle?”
Fermi bezog sich mit dieser einfachen Frage auf den folgenden Gedanken: Wenn unsere Galaxis bereits vor Jahrmillionen von fortgeschrittenen außerirdischen Zivilisationen kolonisiert wurde, müssten ihre Raumschiffe inzwischen auch die Erde erreicht haben. Fermi sah in UFO-Sichtungen keinen Beweis für die Anwesenheit von außerirdischen Zivilisationen. Weil wir Außerirdische nicht sehen, so Fermi, existierten sie auch nicht.

Der britische Physiker Stephen Webb von der Londoner Open University fasste 50 Lösungen für Fermis Frage zusammen, warum wir Außerirdische bislang nicht entdeckt haben. Seine Erklärungen reichen von der Möglichkeit, dass Außerirdische unerkannt unter uns weilen könnten, bis zur Tatsache, dass unsere Galaxis durch Supernova-Explosionen, schwarze Löcher und Ausbrüche von
Röntgenstrahlen ein sehr gefährlicher Ort ist, der die Entstehung von Leben nicht begünstigt.

Stephen King, der in seinen Romanen Tommyknockers und Dreamcatcher ziemlich unangenehme Erstkontakt-Szenarien skizziert, zieht Antwort Nr. 27 aus Stephen Webbs Katalog vor: „Über 50 Jahre belauschen wir die Sterne nach Hinweisen für Leben. Bis jetzt hören wir nichts als Schweigen. Wenn man sich heute all die Konflikte in der Welt ansieht und darüber nachdenkt, dass unsere technologischen Kenntnisse die Fähigkeit, unsere Emotionen zu kontrollieren, längst überholt haben – man sieht es gerade beim Islamischen Staat –, wie sieht dann die Lösung aus? Die einzige Lösung, die wir sehen, ist, diese Vollidioten zu bombardieren, so dass sie einfach nicht die Welt überrollen können. Und das ist das Gruselige an diesem Schweigen: Vielleicht erreichen alle intelligenten Lebewesen dieses Stadium der Gewalt und des technologischen Fortschritts – und kommen nicht darüber hinaus. Sie löschen sich selbst aus. Man fährt vor die Wand – und das war’s.
(Rolling Stone Magazine, Oktober 2014)

Dieses kosmische Schweigen nannte der amerikanische Physiker und Science fiction-Autor David Brin die „große Stille”. 1983 untersuchte er einige mögliche Ursachen für die „große Stille in seinem wegweisenden Aufsatz „The Great Silence”. Brin vergleicht die junge Menschheit mit einem Baby, das in einer Wiege schläft. Das Kindermädchen ist absichtlich ruhig, um nicht die schönen Träume des Kindes zu stören. David Brin zeigt aber noch eine andere Möglichkeit auf,
die Antwort 22 in Stephen Webbs Katalog zur berühmten Frage Enrico Fermis entspricht: Außerirdische Robotsonden, die der Science fiction-Autor Fred Saberhagen Berserker nannte, entdecken die Radiosignale junger Zivilisationen und vernichten sie, um unliebsame Konkurrenten auszulöschen. Daher ist die Galaxis so still wie sie jetzt erscheint. Viele Zivilisationen sind bereits vernichtet, so wie es Greg Bear in seinem Roman Schmiede Gottes auf so eindringliche Weise schildert. Die Erde könnte das nächste Ziel sein, da die Menschheit tagtäglich Radio-, Fernseh- und Radarsignale ins All sendet. Brins „große Stille” ist demnach die Ruhe vor dem Sturm. Die Ungeduld vieler SETI-Wissenschaftler, die den Kontakt herbeisehnen, könnte bald bitter bestraft werden.

Douglas Preston
© Christine Preston
Was hat das nun mit Angst zu tun? Die Antwort ist simpel: Die Wissenschaftler, die SETI betreiben und nach Radiosignalen von Aliens suchen, verdrängen ihre Urängste vor dem maximal Fremdartigen und Unbekannten. Diese Ängste sagen ihnen eigentlich, dass der Erstkontakt unangenehmer ausfallen wird, als sie sich das in ihren romantischen Wünschen ausmalenSie sollten auf ihre Ängste hören.
Ich
debattierte mit Douglas Preston über Fermis Frage. Doug schickte mir seine Antwort in Form eines Prosa-Gedichts, das er Tief im Wald nannte. Es würde dem ebenfalls in Maine lebenden Stephen King, dem Großmeister der Angst, sehr gefallen...




Tief im Wald

Das Weltall ist zu gewaltig als dass es
kein intelligentes Leben in ihm gibt.

Häufig oder selten
,

es ist da.
 
Ich zog durch die tiefen Wälder Maines,
durch dunkle Fichtenhaine.
Diese Wälder scheinen friedvoll zu sein,
still, leer und scheinbar leblos,
doch dort versteckt sich Leben,
Leben gegen Leben, gefangen im verzweifelten Kampf,
Natur mit rotem Schlund und wilden Klauen.
Diese Wälder sind nicht friedvoll.


© Daniel Gerritzen
Der Tod wartet überall
auf die unvorsichtige Maus,
auf die Schlange,
auf den Käfer,
auf das zitternde Rehkitz.
Diese Wälder sind trügerisch.

Während ich durch das Unterholz gehe,
senkt sich Schweigen über den Wald.
Die Maus zittert unter dem Laub,
der Salamander gräbt sich in den Moder,
die Schlange flieht durch das schweigende Gras.
Nur das übermütige Rebhuhn bricht aus der Kette aus
und stürzt, von Schrot getroffen,
gebrochen und blutend zu Boden.

Auch unser Weltall scheint friedvoll zu sein,
still, leer und scheinbar leblos.
Wir lauschen mit SETI, und wir hören nichts.
Laute Stille liegt über den tiefen Wäldern.
Wir sind das Rebhuhn,
das aus seiner Kette ausbricht.

Douglas Preston



Mein Dank gilt Douglas Preston. Copyright der deutschen Übersetzung:
Daniel Gerritzen

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